Der 3D-Druck ist endgültig im klinischen Alltag angekommen: Teil der Schädeldecke wurde nach Unfall ersetzt - der Patientin aus der Obersteiermark geht es gut
© SALK/Fürweger
Professor Christoph Griessenauer (l.) und Oberarzt Johannes Pöppe von der Uniklinik für Neurochirurgie am Uniklinikum Campus CDK mit dem Modell des Implantats.
Im Frühsommer wurde eine 63-jährige Frau aus der Obersteiermark nach einem häuslichen Unfall über das Traumanetzwerk in die Uniklinik für Neurochirurgie am Uniklinikum Campus CDK eingeliefert. Hier stellten die Ärztinnen und Ärzte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma fest. Um zu verhindern, dass die Patientin durch eine maligne Hirnschwellung weiteren Schaden nimmt, wurde eine Entlastungskraniektomie durchgeführt – sprich: auf der linken Schädelseite wurde ein rund 12 mal 10 Zentimeter großes Stück der Kalotte (Schädeldecke) entfernt.
„Die Patientin hat sich so gut erholt, dass wir den fehlenden Teil durch ein Implantat ersetzen konnten“, erklärt Professor Christoph Griessenauer, Vorstand der Uniklinik für Neurochirurgie. Das ärztliche Behandlungsteam um Oberarzt Johannes Pöppe entschied sich dafür, anstelle einer Plastik aus modellierbarem PMMA ein Implantat aus PEEK-Kunststoff einzusetzen.
Das Besondere daran: Dieses Implantat wurde im 3D-Drucklabor des Uniklinikums Salzburg gemeinsam von Dr. Pöppe, Dr. Mathias Spendel und dem Managementbereich Medizin- und Informationstechnologie entworfen und produziert. Dr. Pöppe: „Wir haben die CT-Bilder der Patientin an das Team unserer IT-Kundenbetreuung rund um Werner Wurm geschickt. Dieses hat dann ein Modell des Schädels und des Implantats ausgedruckt. Nachdem wir das Modell freigegeben haben, wurde das Implantat auf dem 3D Systems EXT 220 MED (Kumovis R1) 3D-Drucker unter Reinraumbedingungen gedruckt.“
3D-Druck ist nun Teil des klinischen Alltags
Der Eingriff selbst wurde am 12. September durchgeführt, war Routine und dauerte nur 59 Minuten. Professor Griessenauer: „Wir führen im Jahr rund 40 Entlastungskraniektomien durch und setzen dann rund 25 Mal pro Jahr wieder Implantate ein. Hier haben wir aber den ersten weltweit dokumentierten Fall, bei dem ein im Haus gefertigtes Implantat aus dem 3D-Drucker eingesetzt wurde. Dabei wurden auch alle Anforderungen der Medical Device Regulation (MDR) der EU für patientenspezifische Implantate eingehalten. Das heißt: Der 3D-Druck ist endgültig im klinischen Alltag angekommen!“
Das Implantat wurde über Plättchen mit der Schädeldecke verschraubt. Über Löcher in der Struktur konnte die Hirnhaut mit dem Implantat vernäht werden. Der Patientin geht es nach dem Eingriff gut. „Der postoperative Verlauf ist völlig unauffällig. Die Heilung schreitet gut voran“, berichtet Dr. Pöppe. In der postoperativen Bildgebung zeigte sich eine optimale Rekonstruktion der Schädeldachform. Für die kommenden Wochen planen die Neurochirurginnen und -chirurgen schon mehrere weitere Implantate aus dem 3D-Drucker.
Regelhafte OP mit Implantat
Bereits im vergangenen Frühjahr hat die Uniklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) am Uniklinikum Salzburg international Schlagzeilen gemacht: Damals erhielt ein Patient (55) eine erste selbstgefertigte Hinterhaupt-Prothese aus dem 3D-Drucker. Die Unterschiede zum aktuellen Eingriff: Der Patient erhielt damals eine Prothese, welche die Knochenstruktur ergänzte und kein Implantat, das Knochenstruktur ersetzt.
Digitalisierungs-Strategie der Salzburger Landeskliniken
Das 3D-Drucklabor des Uniklinikums Salzburg ist an der Uniklinik für MKG angesiedelt, unterstützt jedoch mehrere Kliniken. „Es ist Teil unserer Digitalisierungsstrategie, die wir seit dem Beginn der Corona-Pandemie noch konsequenter verfolgen“, erklärt Dozent Paul Sungler, Geschäftsführer der Salzburger Landeskliniken: „Wir wollten den Schwung nutzen, den die Pandemie in diesem Bereich gebracht hat und haben 2021 zum Jahr der Digitalisierung ausgerufen. Die Früchte dieser Arbeit können wir jetzt ernten. Die aktuelle Operation an unserer Uniklinik für Neurochirurgie zeigt auch, wie wir Digitalisierung verstehen: Sie ist kein Selbstzweck, sondern muss direkt bei den Patientinnen und Patienten oder im klinischen Alltag ankommen.“
Patientinnen und Patienten profitieren vom Traumanetzwerk Salzburg
Im Traumanetzwerk Salzburg arbeitet das Uniklinikum Salzburg mit dem Unfallkrankenhaus der AUVA und anderen Spitälern im Bundesland Salzburg und in angrenzenden oberösterreichischen und steirischen Regionen zusammen. Verunfallte Patientinnen und Patienten erhalten so zielgerichtet jene Behandlung, die sich aufgrund der Schwere des Unfalls brauchen. Sowohl Uniklinikum als auch UKH sind als überregionale Traumazentren nach den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zertifiziert.
Die Uniklinik für Neurochirurgie ist Teil des Traumanetzwerks Salzburg und am Uniklinikum Campus Christian-Doppler-Klinik (CDK) angesiedelt. Sie wurde 1966 an der damaligen Landesnervenklinik gegründet, ist die einzige Klinik dieses Faches im Bundesland Salzburg und verfügt über 55 Betten, acht davon im Intensivbereich und vier weitere im Intermediate-Care-Bereich. An der Klinik arbeiten mehr als 20 Ärztinnen und Ärzte und mehr als 100 Pflegekräfte. Pro Jahr werden rund 2000 Eingriffe durchgeführt.